Überlegungen zum Thema Langfristfinanzierung


Rede von Thierry Philipponnat, Generalsekretär von Finance Watch auf der Tagung "Die grüne Transformation finanzieren - Instrumente und Koalitionen für nachhaltige und soziale Investitionen in Europa", am 5. Mai 2014, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin.

 

In dieser Rede möchte ich mich kritisch mit der zunehmend verbreiteten Vorstellung auseinandersetzen, dass die EU, um Investitionen in KMUs und Infrastrukturen zu stimulieren, eine Wiederbelebung von Verbriefungen und Public-Private-Partnerships (PPPs) fördern sollte.

Diese Ideen wurden im Zusammenhang mit der Initiative “Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft” der Europäischen Kommission entwickelt und werden immer mehr zu einer Konsensreaktion auf die Herausforderung der Wiederherstellung von Wachstum nach der Krise. Eine vorläufige Analyse von Finance Watch, die die Beweggründe und einige der aufgeworfenen Fragen in den Blick nimmt, mahnt zur Vorsicht, was derartige Maßnahmen angeht.

1. Was ist mit Langfristfinanzierung (Long-Term Financing, LTF) gemeint?
Aufgrund des derzeitig schwachen Wachstums hat die Europäische Kommission die Förderung von nachhaltigem Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu einer ihrer obersten Prioritäten erklärt. Eine Reihe von Initiativen sind dahingehend bereits angestoßen worden, einschließlich der Initiativen “Europa 2020”, “Europa Verbinden” und dem “Klima- und Energiepaket 2030”.
Während der Schwerpunkt dieser Programme auf Investitionen liegt, die notwendig sind, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit wiederanzukurbeln, hat die LTF-Initiative ergänzenden Charakter und konzentriert sich darauf, wie derartige Initiativen finanziert werden (insbesondere was den Zugang zur Finanzierung von Infrastrukturen und KMUs angeht).

Wir schließen daraus, dass das übergreifende Ziel der Langfristfinanzierungsinitiative nicht so sehr darin besteht, Langfristiges über Kurzfristiges zu stellen; wir sehen die Initiative vielmehr als Motor für Wachstum durch die Stärkung alternativer, bankfremder Finanzierungskanäle. Im Übrigen wirft die Bündelung von Vermögenswerten mit derart unterschiedlichen Laufzeiten - wie Kredite für Infrastrukturen und KMUs - in einer Initiative außerdem die Frage auf, was langfristig ist.

2. Sind die Beweggründe stimmig?
Wenn man sich die Datenlage anschaut, lässt sich erkennen, dass das sich herausbildende Narrativ, das besagt, dass die Verfügbarkeit von Bankkrediten als Folge des Schuldenabbaus sinken und daher die Kapitalmarktfinanzierung gefördert werden muss, um die Lücke zu schließen, zu kurz greift:

Zunächst einmal haben fehlendes Wachstum und fehlende Arbeitsplätze strukturelle, krisenunabhängige Ursachen und hängen mit demographischen Faktoren (der alternden Bevölkerung) und zunehmender Ungerechtigkeit zusammen, wobei Letzteres eine Auswirkung der Globalisierung und Finanzialisierung ist.

Mehrere Studien haben außerdem gezeigt, dass wenn der Finanzsektor über ein bestimmtes Maß hinaus wächst, mehr Kredite letztlich zu weniger Wachstum führen, da diese die Wahrscheinlichkeit eines Crashes erhöhen und der Realwirtschaft Ressourcen entziehen.

Daher kann man sich fragen – wobei es wichtig ist, ein unzureichendes Kreditangebot nach einer Krise zu verhindern – ob politische Maßnahmen ausschließlich auf die Verfügbarkeit von Krediten abzielen sollten anstatt grundsätzlichere und strukturelle Probleme anzugehen, die hinter einer geringen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage liegen, wie z.B. das Problem der Ungerechtigkeit.

Zweitens muss die Vergabe von Bankkrediten nicht notwendigerweise sinken: Kredite an Nichtfinanzunternehmen und Haushalte machen lediglich 28% der europäischen Bankbilanzen aus, wobei Schuldenabbauverpflichtungen auf 7,5% geschätzt werden.
Außerdem haben Banken neben der Reduzierung der Kreditvergabe auch noch andere Möglichkeiten des Schuldenabbaus: Reduzierung anderer Vermögenswerte, Ausgabe von neuem Eigenkapital oder Einbehaltung von Gewinnen, etc. Durch die Reduzierung der Verfügbarkeit von Bankkrediten würden sich die Bankmanager für die Bereitstellung von Kapital für profitablere Aktivitäten entscheiden - keine unvermeidliche Eigenschaft der Volkswirtschaften nach der Krise.

Das führt uns zu der Frage, warum das Modell verändert werden muss. Wir glauben, dass die Förderung der Kapitalmarktfinanzierung eine Option von mehreren ist, so wie auch die Förderung des Investitionsbankenmodells eine Entscheidung gegen das traditionelle Bankenmodell ist.

3. Sorgen und neue Risiken
Insbesondere der Vorstoß zur Wiederbelebung von Verbriefungen hat u.a. mit der steigenden Profitabilität von Banken und der Schaffung von Sicherheiten zu tun: Eine Möglichkeit der Zentralbanken, Liquidität in das System zu pumpen, um Wachstum anzukurbeln und Deflation zu bekämpfen, ist der Erwerb von Sicherheiten.

Verbriefung ist der Prozess der Umwandlung von Krediten und Sachvermögen in Sicherheiten. Hierbei werden zusätzliche Wertpapiere emittiert, die bei der Kreditvergabe von Finanzinstitutionen untereinander als Sicherheiten eingesetzt werden können.

Unserer Meinung nach birgt dies drei Gefahren:

a. Zum Zwecke der Wachstumssteigerung kann man günstige Kredite fördern, riskiert damit aber die Bildung neuer Blasen. Wir sollten nachhaltigere Alternativen nicht aus den Augen verlieren, wie z.B. Versuche, Einkommensungleichheiten abzubauen und die Kaufkraft der Unter- und Mittelschicht zu erhöhen.

Sogar das Gipfeltreffen in Davos hat erkannt, dass in der momentanen schwachen Wachstumsphase Ungleichheiten eine Schlüsselrolle spielen und dass flankierende politische Maßnahmen nachhaltiger sein könnten als eine Wiederkehr von Kreditauf- und abschwüngen.

b. Wertpapierleihgeschäfte sind eine Hauptquelle der Bankenfinanzierung. Hierbei handelt es sich jedoch um eine überaus kurzfristige, prozyklische Art der Finanzierung, die zu weiterer wirschaftlicher Verflechtung beiträgt, einem entscheidenden systemischen Risikofaktor. Zudem führt diese Art der Finanzierung letztlich nicht zu dem langfristigen, ausdauernden, konjunkturunabhängigen Kapital, das wir brauchen.

c. Schlussendlich wirft die Förderung von PPPs bei den Investoren eine Reihe von Fragen auf:
Während Infrastrukturinvestitionen als Heiliger Gral der wirtschaftlichen Anreize gelten, weisen PPPs eine fragwürdige Bilanz auf, was das Preis-Leistungs-Verhältnis für die Nutzer, die Kosten für die Steuerzahler und die fehlende Transparenz angeht.
Außerdem besteht das Risiko, dass eine Teilprivatisierung europäischer Infrastrukturen kostenpflichtige Projekte begünstigt und die Ausschließbarkeit von halböffentlichen Gütern erhöht, wenn nicht alle Infrastrukturen nutzerentgeltfähig sind.

Ferner sollen Anreize für Kleinanleger geschaffen werden, damit diese in privatisierte Infrastrukturen investieren, entweder über Kleinanlegerfonds oder indirekt über ihre Pensionsfonds. Hier besteht die Gefahr, dass sich das politische Argument, welches besagt, dass wir Pensionären und Kleinanlegern eine Rendite bieten müssen, nachteilig auf das Preis-Leistungs-Verhältniss für die Nutzer von Dienstleistungen auswirken und zu einer Schwächung der Verbraucherschutzlobby führen könnte.
Da im Übrigen genug Kapital verfügbar ist und das Problem vielmehr darin besteht, das vorhandene Kapital in notwendige Investitionen zu lenken, würde jede Initiative, die Privatkunden-Spareinlagen befördert, ein Paradox darstellen, da wir mehr Konsum und nicht höhere Ersparnisse brauchen. Derartige Initiativen kommen wohl eher aus der Ecke der Pensionsfonds.

Zumindest ist es unserer Meinung nach überaus wichtig, sich für mehr Transparenz in den PPPs stark zu machen, um die demokratische Rechenschaftspflicht von Projekten zu erhöhen, die in den kommenden Jahrzehnten öffentliche Gelder ausgeben werden.

4. Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir das Ziel der Förderung von nachhaltigem Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützen, allerdings unter der Voraussetzung, dass die eingesetzten Instrumente nicht zu neuen systemischen Risiken führen oder soziale Errungenschaften untergraben. Daher rufen wir die Politik dazu auf, sich nicht zu schnell Maßnahmen zu eigen zu machen, ohne andere Optionen, die eventuell nachhaltiger sind, geprüft zu haben.